Bildunterschrift: Hessenslam 2019 - u.a. im Friedberger Burggarten
Ihr Lieben,
vielen Dank für ein wundervolles, aufregendes, intensives und, ja das darf in diesen Tagen auch mal gesagt werden: schönes 2018.
Wir sehen uns 2019!
Neues aus der Slam-WG: Die neue Mitbewohnerin
Ein Tag wie jeder andere, ein Morgen wie der gestrige und wahrscheinlich auch der morgige, aber nein! Denn es wird nicht mehr sein wie vorher…
Die Slam WG sitzt beim Frühstück. Thorsten schraubt an der Deckenlampe herum, gegen die er Mal wieder gelaufen ist, Domi hält sich an seinem Tee fest, während sein Kopf auf der Tasse verweilt, Andy löffelt Proteinpulver aus dem 5-kg-Bottich. Aber dem geschulten Beobachter fällt sofort ein Fehler auf! Wo ist Artur?
Thorsten setzt sich und angelt eine Postkarte vom Schreibtisch aus dem Nebenzimmer. “Ach hier, das hatte ich ganz vergessen. Hier, Andy, hör mal auf zu essen! Wir haben eine Postkarte bekommen, von Artur aus Singapur, der ist doch auf Tour.”
“Tour? Wo? Wann? Ich bin bereit!” Domi ist aufgeschreckt, fuchtelt wild mit den Armen und schlägt die Deckenlampe ein weiteres Mal aus ihrer Verankerung.
Andy legt seinen Löffel weg und wischt sich das restliche Pulver aus dem Gesicht. “Hach ja, so jung müsste man auch nochmal sein. Aber steht jetzt nicht sein Zimmer leer?”
Während sich Thorsten und Andy grübelnd ansehen, fängt Domi erst leise, dann lauter an zu lachen, bis er von der Haustürklingel unterbrochen wird. Es klingt, als würde eine Horde Büffel auf der Treppe Hornweitwurf machen, aber als die Tür geöffnet wird, stehen dort nur Berge von Koffern. “Halloo??”, ruft Thorsten ins Treppenhaus und der Hall zellert zurück. Hinter Trolley und Handtasche kramen sich langsam zwei Hände hervor, bis daraus ein Mensch auftaucht, ein, man mag es kaum glauben, weiblicher Mensch.
“Hey, ich bin Lea und wohne jetzt bei euch! Zumindest solang Artur weg ist.” Sie gestikuliert wild, aber gezielt, sodass es fast schon gebärdisch einstudiert wirkt. Inzwischen stehen die WG-Männer vor der Tür und betrachten neugierig ihre neue Mitbewohnerin. Nur Thorsten hat sie so weit unten am Boden noch nicht entdeckt.
“Ja cool!”, singen Domi und Andy im Chor.
“Wo ist denn mein Zimmer?”, fragt Lea und läuft schonmal los.
“Da hinten links”, erklärt Andy und deutet ihr mit seinem Bizeps den Weg.
“Genau gegenüber von meinem”, kichert Domi in sich hinein. Er und Lea zwinkern sich auffällig unauffällig zu. Soso...
Thorsten hat Lea nun auch entdeckt und winkt zu ihr hinunter. “Das passt auch gut, wir müssen schon gleich los. Wenn du müde bist, kannst du im Slam-Mobil ein bisschen schlafen, nach Ludwigshafen.”
“Na dann”, trällert Lea. “Auf die Texte fertig los!” Die Männer springen in alle Richtungen und werfen sich auf überall herumliegende Haufen von Textblättern. Lea merkt, sie muss hier noch viel lernen.
Neu in der WG: Lea Weber, U20-Championesse 2017, Hessen
In Ludwigshafen war es dann sehr schön! Domi suchte wieder Rat im Publikum, indem er von all den Dingen erzählte, die er nicht versteht. Andy erzählte einen Schwank aus seiner Jugend. Thorsten hatte auf die Bühne ein ganzes Orchester von Worten mitgenommen und ließ es eskalieren. Lea machte auch einen Text, aber alle schauten nur auf ihre Hände. Ist das Gebärdensprache oder einfach krass genaue Gesten. Das muss noch geklärt werden.
Andy und Lea kämpften auch im Finale gegeneinander, aber die Dame gab dem Herren den Vortritt und überließ ihm den geteilten ersten Platz. Schließlich ist sie die Neue und will sich's nicht gleich mit dem Mann mit den Armen verscherzen.
Aber was waren alle glücklich! Ein schöner erster Abend in dieser Besetzung. Ein Hoch darauf, dass es noch viele weitere gemeinsame Tour- und WG-Erlebnisse geben wird.
Wenn Hessen sich in Essen messen
Wenn vier Poeten zusammen in einer WG wohnen, kann es schon mal drunter und drüber gehen. Denn sie sind nicht alle so entspannt und ausgelastet, wie es die Pressefotos stets vermuten lassen. In ihrer Freizeit gehen sie nämlich ganz anderen Berufen nach als in ihrer Hauptbeschäftigung auf der Bühne – wenn sie nämlich gerade einmal kein neues nobelpreisfürliteraturverdächtiges Werk schreiben oder irgendwo in der Bundesrepublik „ins Mic spitten“, dann sind unsere Wortakrobaten ein Vulkanforscher, ein Astronaut, ein Wikipediaeinträgefälscher und ein Waldläufer. Wer wer ist, bleibt aus Datenschutzgründen geheim.
Und wenn eben diese vier Männer, den Alltagstrott hinter sich gelassen, anfangen ihre Taschen und danach das Auto zu bepacken, weil sie wieder einmal einen Notruf aus einem anderen Bundesland erhalten haben, mit der Bitte, doch bitte die Abendshow zu retten, dann bleiben keine Trockenfrüchte, keine Thermoskannen und keine Queen-CDs vor ihnen sicher. Denn die Fahrt ist lang und der unstillbare Durst danach, eine (Brems)Spur am Einsatzort zu hinterlassen, ist groß.
Dieses Mal trifft es die Weststadt Story in Essen – eine riesige und legendäre Slam-Veranstaltung, die in- und außerhalb von Nordrhein-Westfalen großes Ansehen genießt.
Kurz vor der Abreise versammelt man sich traditionsgerecht im Flur und bespricht wichtige Eckdaten der Reise.
„Er ist nicht zu finden, der Autoschlüssel in unserer Schüssel für Schlüssel!“ Thorstens Fäuste stemmen sich gegen seine Hüfte.
„Verzeihe mir, Thorsten!“ entschuldigt sich Andreas. „Ich habe ihn mir gestern zum Üben ausgeliehen, als endlich das Buch ankam, welches ich bestellt hatte: 99 Wege mit einem Schlüssel schnell zu töten. Ich hole ihn mal eben aus der Übungspuppe heraus.“
„Tu dies. Denn leider können wir uns das Fahren nicht sparen. Und wo ist überhaupt Artur? Macht er wieder eine Haarkur?“
„Bin am Start“, Artur betritt den Flur und stopft sich noch ein paar Texte in die Hosentasche, die er in den nächsten drei Stunden immer wieder herausholen wird, um sich zu vergewissern, dass er sie auch wirklich dabei hat.
„Jo, Domi, Bro, darf ich meinen Eistee in deine Tasche stecken? Ich nehm' keine mit, Digga. Dominik?“
Thorsten und Artur sehen verwundert zu Dominik herüber, der nicht antwortet. Einige Sekunden lang, bevor Thorsten erstarrt und Artur sich dreimal bekreuzigt. Den beiden wird nämlich klar, dass es gar nicht Dominik ist, sondern die Übungspuppe und dass Andreas die beiden schon wieder verwechelt haben muss.
Im selben Augenblick hört man verzweifeltes Bärengebrüll von Andreas aus dem Trainigsraum. Er kommt in den Flur, den (Gott sei Dank) noch atmenden Dominik auf den Armen tragend und stellt ihn ab.
„Andy, ist es eigentlich dein Ernst? Wie oft denn noch?“, Dominik ist wirklich sauer, aber kann sein Lächeln nicht ganz unterdrücken, weil... wer kann Andreas schon so richtig böse sein?
„Dominik, es tut mir so leid, dass es wieder zu dieser Verwechslung kam! Für das nächste Mal merke ich mir – wenn es stöhnt, dann ist es nicht meine Übungspuppe“, entschuldigt sich Andreas, „Ich bin heilfroh, dass du meine gestrige Trainingseinheit und die Nacht überlebt hast! Aber das Buch ist wohl für'n Arsch.“
„Männer, wir müssten wirklich langsam los!“, Thorsten schaut die anderen über den Rand seiner Brille an und das ist kein gutes Zeichen.
Die Choreographie beim Einsteigen und Sitzen läuft nach so vielen Fahrten absolut reibungslos ab: Thorsten fährt, Dominik schmückt den Beifahrersitz, Andreas sitzt hinter Thorsten, Artur sitzt hinter Dominik und zwischen Andreas und Artur in der Mitte sitzt noch Andreas' rechter Arm und pulsiert.
Die drei Stunden, viele kleine und große Städte, einige Wälder und unzählige Eindrücke ziehen staulos an unseren Poeten vorbei. In dieser Zeit haben sie meist alle relevanten Themen dieses Lebens besprochen und alle Weltprobleme in der Theorie gelöst. Es wurde sogar der eine oder andere Spaß ausgetauscht.
Nachdem die Boyband in Essen angekommen ist, ahmt sie coole US-Kids nach und hängt ein bisschen in der Mall herum. Es wird gespeist und langsam versinken unsere Helden in ihren eigenen Gedanken, die bevorstehende Show im Fokus.
Zeitsprung. Die Weststadthalle füllt sich wider Erwarten (parallel fand die NRW-Slam-Meisterschaft statt) und die mindestens 500-10.000 Besucher nehmen ihre Plätze ein, die Luft knistert. Die Slampoeten sitzen auf bequemen Sofas und trinken VIP-Wasser, während das Moderationsduo Gabriel und Thomas mit dem berühmten Weststadt-Story-Pferderennen die Besucher in Extase versetzt.
Artur darf den Abend eröffnen und trägt Mama vor. Dominik kommt als zweiter Poet auf die Bühne und reißt die Halle mit Dinge, die ich nicht verstehe nach allen Regeln der Gebäudesprengungskunst ab. Andreas liest Kein Text und scheidet zusammen mit Artur aus, um sich mit ihm betrinken zu dürfen und neue Bekanntschaften zu knüpfen. Thorsten performt Konzentrier dich! und kommt zusammen mit Dominik ins Finale.
Im weiteren Verlauf des Abends bekommt das Publikum Hessens Klassiker um die Ohren gehauen mit Thorstens Fortissimo und Dominks 90 Minuten oder wie lange Nagellack zum trocknen braucht und Anapophasistos, welche ihm einen würdigen zweiten Platz des Abends und eine Lyriksammlung von Mesut Özil bescheren.
Nach diesem erfolgreichen Abend in Essen haben unsere Helden mal wieder gezeigt, aus welchem Holz ein Hesse geschnitzt ist. Einige Stunden später sitzen die Vier wieder im Auto auf dem Heimweg zu ihrer Poeten-WG und schnick-schnack-schnucken, wer morgen Frühstück macht.